Blühende Botschafterinnen
Der Kalender für 2023 zeigt Rosen, Tulpen, Nelken, Astern, Lotus, Mimosen und noch paar mehr. Die Blüten sind nicht nur schön zum Anschauen, sie sind auch Symbolträgerinnen.
Seit Jahrhunderten tauchen Blumen in der Kunst- und Kulturgeschichte auf, oft mit “geheimen” Botschaften. Und manche Blumen werden bis heute zu Botschafterinnen in politischen Bewegungen und symbolisieren den Aufstand, Widerstand, Umsturz oder im schlimmsten Fall: den Terror.
Einige Revolutionen wurden nach Blumen benannt, die Jasminrevolution zum Beispiel.
12 Blumen habe ich ausgesucht und ihre historische, symbolische oder rituelle Bedeutung beschrieben.
Warum denn einen Blumenkalender, ich hab doch “braunen Daumen”?
Ich bin ja voll gern im Grünen, in Gärten, ich schaue gern Pflanzen Draußen und ich pflanze und säe Blumen für Bienenwiesen auch gern aus. Aber ich habe absolut keinen grünen Daumen! Ich rieche gern am Jasmin, ich staune über Rosen, die im November noch blühen, ich finde Astern stinken bissi und Studentenblumen und Nelken sind totale DDR-Blumen für mich.
Ich suche jedes Jahr, ab Sommer eigentlich schon, ein Thema für meinen alljährlichen Kalender. Er soll schön sein, aber nicht belanglos, das Thema soll mich interessieren und auch für andere relevant sein, das Zeichnen soll Spaß machen und das Recherchieren am besten nicht allzu furchtbar sein. Am Besten ist, wenn das Thema auch zum aktuellen Jahr passt. Naja, manchmal dauert es ewig, bis mir was einfällt.
Diesmal war es so: ich wollte unbedingt was “Schönes” machen weil 2022 mal wieder ein schlimmes Jahr war, wenn man sich die Welt anschaut. Irgendwas Tröstliches fürs neue Jahr und dann hörte ich irgendwo “Blumen kann man nicht nicht mögen”. Auf keinen Fall wollte ich aber nur so “Deko-Blumen-Illus” machen, da muss es doch einen spannenden Inhalt geben. Und genau da fielen mir die “Revolutionsblumen” ein.
Danke! Mit Blumenstrauß!
Ohne die Ideen von Rocío del Río Lorenzo, der Hilfe von Ahoo Maher und dem Hinweis zur Roses Revolution von meiner Schwester Jana, hätte dieser Kalender gar nichts werden können.
Er wäre auch nicht entstanden, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, die Revolutionsblumen in der Installation “The Penultimate” von Künstlerin Anna Jermolaewa in einer Ausstellung sehen zu können. Als Time’s Up nämlich 2021 im OK “RISE.Turnton2047” aufgebaut hat, und ich wieder die Medusabar-Wände mit Quallen bemalen durfte, war die Installation gleich im Ausstellungsraum neben dieser Arbeit von Time’s Up.
“The Penultimate” ist eine Installation aus Blumensträußen, die für die “Farbrevolutionen” stehen. Am Ende des Artikel findet ihr viele Links zum Weiterlesen.
Der Widerspenstigen Blumen
Drei Frauen der Unione Donne Italiane schlugen 1946 die Mimose für den Frauentag vor. Die Bäume blühen im März und sind sonnige Zeichen für Stärke und Lebendigkeit. In den 60/70er Jahren wurde die Mimose zum Symbol feministischer Kämpfe.
“Es brauchte eine ziemlich billige Blume, um in jenem Nachkriegs-Italien, das mit großer Anstrengung und Begeisterung wieder aus den Trümmern aufzutauchen versuchte, mit beiden Händen sammeln und verteilen zu können, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Da dachte man an jene großen Bäume, die schon Anfang März eine üppige gelbe Blüte gaben.” Rossana Nardacci
Seit über 70 Jahre ist es in Italien Tradition, am 8. März schöne gelbe Mimosen an Frauen zu verschenken!
Blumen des Bösen: Kornblumen
Ein gescheiterter Umsturzversuch 2007 in Belarus/Weißrussland heißt Kornblumenrevolution. Aber auf diese Bedeutung gehe ich hier nicht weiter ein.
Denn Österreich hat eine eigene, leider häßliche, Geschichte mit Kornblumen.
In Österreich ist die Blume bis heute „geheimes“ Zeichen der Rechtsextremen.
Während die NSDAP 1933–38 in Österreich während des Austrofaschismus verboten war, bevor es im März 1938 es zum “Anschluss” an das Deutsche Reich kam, planten Nationalsozialist*innen den Terror im Untergrund. Um Gesinnungsgleiche zu erkennen, steckten sie sich Kornblumen statt Hakenkreuze an.
Die super rechte FPÖ behauptet offiziell: “Sie wird von uns getragen, weil sie blau ist und blau die Farbe der Partei ist”, sagt Norbert Hofer. Es tragen auch rechtspolitische AfD-Mitglieder in Deutschland Kornblumen, so ein Zufall.
Warum hab ich die Kornblumen mit in den Kalender genommen, wo ich doch “was Schönes” machen wollte? Damit dieses “geheime” Erkennungszeichen erkannt und “gelesen” werden kann.
Ich wußte um die Nazi-Geschichte der blauen Blume sehr lange nicht. Ich bin mit der Kornblume als Blume vom sogenannten Arbeiter*innen- und Bauernstaat DDR aufgewachsen und zum Internationalen Frauentag gab es in der DDR Stoffblumen zum Anstecken, wo Nelken, Mohn und Kornblumen dabei waren.
Erst in Linz habe ich gelernt, dass es zur Symbolik von Kornblumen mehr Geschichte zu lernen gibt. Am Ende dieses Artikel findet ihr Links zum Weiterlesen dazu.
Porajmos Gedenktag
Am 2. August wird an den Völkermord an Romnja und Sintizze, dem Porajmos, gedacht.
In Wien, am Ceija-Stojka-Platz, auch mit Sonnenblumen. Ceija Stojka, berühmte Roma, Schriftstellerin, Künstlerin und Zeitzeugin schrieb in einem Gedicht: „die sonnenblume ist die blume des rom“.
Am 2.8.1944 wurden in Auschwitz 4.300 Roma und Sinti ermordet. Seit 2015 ist der 2. August ein europäischer Gedenktag.
“Mehr als 20.000 Roma/Romnija und Sinti/Sintizze wurden ab 1943 in Auschwitz-Birkenau interniert und ermordet. Am 16. Dezember 1942 verfügte Heinrich Himmler die Deportation aller noch im Deutschen Reich lebenden „Z******r“ nach Auschwitz-Birkenau.”
Die Opferzahl dieses Genozids werden bis 500.000 Menschen geschätzt.
Porajmos heißt übersetzt „das Verschlingen“.
e kamesgi luludschi – die sonnenblume die sonnenblume ist die blume des rom. sie gibt nahrung, sie ist leben. und die frauen schmücken sich mit ihr. sie hat die farbe der sonne. als kinder haben wir im frühling ihre zarten, gelben blätter gegessen und im herbst ihre kerne. sie war wichtig für den rom. wichtiger als die rose, weil die rose uns zum weinen bringt. aber die sonnenblume bringt uns zum lachen. Ceija Stojka in "Die Morgendämmerung der Worte. Moderner Poesie-Atlas der Roma und Sinti."
ژن، ژیان، ئازادی · Jin, Jiyan, Azadî · Woman, Life, Freedom
In der Zeit, während ich für den Kalender illustriert habe, begannen im Iran die Proteste gegen das Mullah-Regime. Im September 2022 begann der Aufstand der Bevölkerung gegen die autoritäre Regierung des Staates. Auslöser war der Mord an Jina Mahsa Amini durch die Polizei in Teheran am 16. September. Sie halten auch jetzt an, trotz fruchtbarer Brutalität gegen Demonstrierende, Oppositionelle, Studierende und Künstler*innen durch die Regierung. Bis heute, dem 30. November 2022, sind über 500 Menschen getötet worden. Laut Reuters sind über 1.000 Menschen verletzt worden. Menschen werden inhaftiert und gefoltert und der Staat bedroht sie mit Todesstrafen.
Hyazinthen stehen für Freundschaft
Die Protestbewegung “jin jiyan azadi” im Iran hat die abgeschnittenen Haare der Frauen, die brennende Hijabs, aber keine Blume als Aufstandsymbole. Wie kann ich den iranischen Protest doch mit aufnehmen? Er wird auch 2023 wichtig sein.
Es gibt das Neujahrsfest im Persischen Raum, dass zu Frühlingsbeginn auch im Iran gefeiert wird. Eine Tradition ist Sofreh Haft Sin. Eine gedeckte Tafel oder ein Tisch mit bestimmten 7 Sachen „Sieben S“, die mit den Anfangsbuchstaben des persischen „S“ beginnen müssen. Darin kommen Hyazinthen vor. Hyazinthen heißen Sonbol سنبل und stehen für Freundschaft auf dieser Tafel.
Freundinnen und Künstlerkolleginnen sind aus dem Iran hier in Linz oder Wien. Ahoo hat mir beim Kalender geholfen, arabische Typo in der richtigen Leserichtung einzufügen.
Blumensträuße gekauft und Fotos ausgedruckt
Alle Illustrationen für diesen Kalender sind mit Acryl, Polychromos Buntstiften, Ausziehtusche und Feder, mit Kohlepapier und ein bisschen Ölpastellkreiden auf Papier gemalt.
Botanisch genau sind die nicht. Aus mir wird keine Sibylla Merian (1647– 1717), eine herausragende Naturforscherin und Zeichnerin.
Ich habe viel am Leuchttisch gearbeitet, dann gescannt, dann eine Blume nach der anderen recherchiert und die Texte geschrieben. Spezielle Aktionstage, die es rund um die Welt gibt, zu Blumen oder Pflanzen habe ich auch herausgesucht.
Ich hoffe, der Kalender macht euch Freude und ist kulturgeschichtlich und politisch interessant zum Lesen. Er erinnert an das, was niemals vergessen werden darf und zeigt das ganze Jahr über: eine andere Welt ist möglich.
Illustrierter A2 Wandkalender 2022
Mit Pflanzen-Aktionstagen, Feiertage AT & DE.
150g Offsetpapier, Offsetdruck, Klimaneutral gedruckt
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Bücher (selbstbezahlt)
Die Blumen der Frauen, Blumensymbolik in Gemälden aus sieben Jahrhunderten, von Andreas Honegger bei Suhrkamp
Die Sprache der Blumen von Marina Heilmeyer bei Penguin Random House
Quellen und Links zum weiterlesen
Die Farbrevolutionen
www.jermolaewa.com/penultimate.html
www.tahrirdocuments.org
Arabischer Frühling · Mohamed Bouazizi
rotbewegt.at zur Nelke
Nelkenrevolution
Mimosen in Italien
Kurier über Kornblumen der Rechtsextremen
Tagesspiegel über AfD und Kornblume
taz.de Rechte Vereinnahmung der Kornblume
Lernmaterialien über den-genozid-an-den-roma-und-sinti
2. August · Sinti und Roma Gedenktag
Sinti und Roma Gedenktag · Gedicht
wikipedia.org/wiki/Porajmos
www.romarchive.eu
RoseRevolution
www.hebammen.at/gegen-gewalt-der-geburtshilfe-roses-revolution
www.irankultur.com
Der Standard über Nouruz
Newroz-und-seine-bedeutung
Newroz
Marigold, Tagetes · Day of the dead flowers
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